1942–43
 
Verfolgung und Auftrittsverbot
 
 

Im September 1942 ist Lale gerade auf Ferientournee in Italien (»Ich staune, dass das italienische Publikum bei mir so brav und still ist. Dabei haben wir diesmal kein Begleitorchester mit, sondern ich stehe, mit Paschi am Flügel, den ganzen Abend allein auf dem Podium«), als sie ein Brief von der Zentralstelle für Informations-Bibliotheken und Schallplatten-Archive erreicht. Sie schreibt darüber ins Tagebuch: »Nun soll also Lili Marleen auch in französischer, holländischer und italienischer Sprache von mir gesungen werden. Da werde ich mich wohl so langsam auf die Heimreise begeben müssen. Beim Gedanken an das Wiedersehen mit den Kindern hüpft mein Herz, anstatt vernünftig zu schlagen. Hoffentlich nimmt mir der Zoll nicht die Geschenke ab.«

Als Lale die Rückreise antritt, wird sie noch aus dem Zug heraus am Brenner von zwei Gestapobeamten festgenommen. Sie erfährt weder die Gründe der Verhaftung noch irgendwelche anderen Andeutungen. Sie habe unverzüglich nach Berlin zurückzureisen, sich nicht aus ihrer Wohnung zu entfernen und jederzeit zur Verfügung zu stehen. Ihr Gepäck wird in Beschlag genommen, ebenso ihre Tagebuchaufzeichnungen ...
     Warum wurde sie nach Berlin beordert? Warum kann sie die Wohnung nicht verlassen? Dass sie es nicht tun würde, wissen ihre Feinde. Schließlich hat sie zwei Söhne, beide leben bei ihr. War es ihre Weigerung, im Frühjahr das Ghetto zu besichtigen? Wenige Tage nach ihrer Rückkehr muss sich Lale in der Reichskulturkammer, Wilhelmsplatz 8/9, bei ihrem Widersacher, Hans Hinkel, melden. Innerlich zitternd, äußerlich so beherrscht wie nur möglich, steht Lale vor ihrem ärgsten Feind ...
     »Ab sofort Auftrittsverbot! Sie unterlassen sämtliche Interviews! Erwähnen Sie mit keinem Wort Ihren Namen und den von Lili Marleen. Sie werden keine Autogramme geben und nirgends Lili Marleen als Unterschrift setzen. Ich hoffe, Sie haben mich verstanden!«
     Dann deutet Hinkel auf die Briefe[, die sie an Kurt Hirschfeld nach Zürich schickte]. Er würde es ihr ersparen, den Inhalt vorzulesen oder gewisse »eindeutige« Passagen daraus zu zitieren.
     »Außer, Sie bestehen darauf, Frau Andersen. Ich sollte Sie vielleicht daran erinnern, dass am Züricher Schauspielhaus vornehmlich Juden engagiert sind. Die Tatsache, dass Sie mit diesen ›Künstlern‹ aufgetreten und befreundet sind, ist bekannt. Als deutsche Künstlerin ist ihr Verhalten skandalös ...« Nun sei sie ... ein Opfer ihrer Einfältigkeit geworden. »Die Reichskulturkammer wird dafür sorgen, dass sie für ihr undeutsches Betragen bestraft werden. Sie werden von uns hören. Heil Hitler!«

Zwei oder drei Tage nach der Begegnung mit Hinkel teilt Björn seiner Mutter so gelassen wie möglich mit, vor dem Hauseingang stünden zwei Männer in Zivil, wahrscheinlich Gestapo ... Sonst rasch zur Reizbarkeit neigend, benimmt sich seine Mutter auffallend ruhig. Sie sei abgespannt und möchte sich hinlegen, entschuldigt sich Lale bei ihrem Ältesten und der Haushälterin Koschel.
     Nachts schluckt Lale eine Überdosis Veronal. Als Gestapobeamte sie abholen wollen, können sie die Sängerin nicht in Haft nehmen. Sie liegt in tiefem Koma.
     »Holen Sie unverzüglich einen Arzt und einen Krankenwagen, Frau Andersen hat einen Selbstmordversuch gemacht!« ruft einer der Gestapomänner aufgeregt ins Telefon.
     Minuten später fährt ein Krankenwagen vor das Haus Kurfürstendamm 92. Den anderen Bewohnern entgeht der Vorfall nicht. Geflüster, Getuschel ... das sei doch Frau Andersen aus der obersten Etage gewesen, die abtransportiert wurde. Keiner wagt es in dieser Zeit, Fragen zu stellen.
     Lale liegt noch im Koma, da wird von der BBC in London die Meldung verbreitet, Lale Andersen habe Selbstmord begangen. Hinzugefügt wird, Goebbels habe befohlen, die Sängerin von Lili Marleen wegen ihrer antideutschen Haltung zu verhaften und in ein Konzentrationslager zu transportieren. Der Verhaftung sei sie durch Selbstmord entgangen.
     Tatsache ist, dass Lales Leben durch die »Falschmeldung« gerettet wird. Goebbels lässt ein Dementi verbreiten, um somit die BBC »wieder einmal einer Propagandalüge zu bezichtigen«. Lale kann in ihre Wohnung zurückkehren. Das von Hinkel verhängte Auftrittsverbot bleibt in Kraft. [Litta Magnus-Andersen S. 144 ff.]