Lale-Andersen-Archiv

Die kuratierte Datenbank deutscher Populärmusik 1930 bis 1970

Lale-Andersen-Archiv
Objekt des Monats Dezember 2018
Autor: M. Deinert
1. Dezember 2018

Objekt des Monats 12/2018

Eine Musterplatte, die wohl zur Versorgung einzelner Rundfunksender mit Neuerscheinungen der Schallplattenfirmen gedacht war: Die hier Gezeigte stammt aus dem Hause des britischen DECCA-LONDON-Labels und wurde wahrscheinlich bald nach dem Aufnahmedatum des Liedes (26. April 1950), jedenfalls noch vor Veröffentlichung der kommerziellen Schallplatte verschickt. Ab Juni 1950 stand dann die Kopplung Decca C.16117 in den Läden zum Kauf. Für diese Firma nahm Lale Andersen bereits seit Juli 1948 regelmäßig Lieder auf, die über den Rundfunk auch tunlichst „promoted“, also ins Ohr der Hörer gebracht und besprochen, mithin unterstützt und beworben werden sollten…

Objekt Des Monats 2018 12 (Rückseite)Die Scheibe beherbergt nur ein Lied – ihre Rückseite ist zwar auch bespielt, bringt jedoch lediglich einen gleichbleibenden Testton zum korrekten Einstellen der Wiedergabegeräte zu Gehör.

Das hier in Schellack gepresste Lied ist außerdem ein schönes Beispiel für das Nachkriegs-Repertoire der Künstlerin, das zwischen Schnulze, Schlager, Albernheit und literarischem Kabarett zu oszillieren versucht. Neben den oft von ihr selber ins Deutsche übertragenen Tagesschlagern der Alliierten besinnt sich Lale Andersen also auf ihre kabarettistischen Ursprünge und ist bemüht, auch leichtfrivole und lyrische Texte auf Schallplatte unterzubringen. Fast alle werden jedoch (man fragt sich heute, in welchem genauen Produktionsstadium) allzu gefällig und salonfähig gemacht. Sie verlieren durch eine zu brave Darbietung und ein meist einfallsloses musikalisches Arrangement jegliche Frechheit, jeglichen Biss, jeglichen Spott. In manchen Fällen wird ihnen sogar textlich der Stachel genommen. Man könnte sagen, diese Lieder sind den Abendkleidern angepasst worden, in denen sich die Künstlerin nun seit Ende 1945 – statt in Hosenanzügen, Rollkragenpullovern oder Folklorekleidern – ihrem internationalen Publikum präsentiert.

Wie schon beim „Kleinen Sommermärchen“ von Curt Bry (ihrer dritten Decca-Platte 1948), greift sie beim Lied „Welche von beiden“ auf das Couplet eines emigrierten NS-verfolgten Berliner Kabarettisten zurück, der die Brettl-Szene der 1920er Jahre u.a. im Kabarett der Komiker (KaDeKo) geprägt hatte: des Ansagers und Komponisten Theo A. Körner. Seine Lebensdaten sind unbekannt, nicht einmal das „Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933-1945“ weiß viel über ihn anzugeben – aber seine schmissige Shimmy-Nummer „Wenn du nicht kannst, lass mich mal (Der Knalleffekt)“ ist heute noch bekannt. Immerhin das Bildarchiv der Süddeutschen Zeitung verwahrt ein Foto von ihm (Bild-ID 00061465) – so bleibt er nicht bloß ein reines Phantom.

Er wird der jungen Lale Andersen sein Couplet für ihr Repertoire übergeben haben, wie Curt Bry ihr ebenfalls neben dem „Sommermärchen“ auch sein „Seemannslied in drei Farben (Blau ist das Meer)“ oder das „Schiffsjungenlied (Backbord ist links)“ überlassen hatte. Die genannten Lieder hatte sie während der NS-Zeit durchgehend öffentlich vorgetragen, auch wenn dies aufgrund der rassistischen Gesetzgebung der Nationalsozialisten – Bry und Körner galten als Juden und waren in die USA geflohen – eigentlich verboten war. Aus dem Jahr 1942 liegt uns vom Lied „Welche von beiden“ der Live-Mitschnitt einer öffentlichen Veranstaltung im Deutschen Rundfunkarchiv (DRA-Band A0 152) als hörbarer Beleg vor; sonst weisen uns jene Lieder die Programmzettel der Kriegsjahre nach.

Auch im Rundfunk der Nachkriegszeit lässt Lale Andersen das Körnersche Lied wieder hören; zumindest im Schallarchiv von Radio Bremen hat eine swingende Aufnahme davon aus dem Gründungsjahr der Bundesrepublik überdauert.

Als Bearbeiter entweder des Textes oder des Arrangements erscheint auf dem Schallplattenetikett Lale Andersens Sohn Michael, zu dieser Zeit noch auf dem Hamburger Konservatorium, aber immer häufiger mit musikalischen Bearbeitungswünschen seiner singenden Mutter konfrontiert.

Ob durch die Radioproduktionen 1949 und Schallplattenveröffentlichungen 1950 in mehreren Ländern (Großbritannien, Schweiz, Österreich, BRD) sowohl Theo A. Körner als auch Curt Bry entsprechende Tantiemenzahlungen erhalten haben, bliebe noch zu ergründen. Die GEMA zumindest listet beide während der Nazi-Zeit Ausgebürgerten korrekt in ihrem Werkverzeichnis.

 

Quellen  u.a.

Michael Wilke: Künstlerkind II. Jugendjahre. Deutsche Literaturgesellschaft: Berlin 2011.

Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933-1945. Band 2: Biographisches Lexikon der Theaterkünstler. Teil 1 (A-K). Hrsg. von Frithjof Trapp u.a. Saur: München 1999.