Lale-Andersen-Archiv

Die kuratierte Datenbank deutscher Populärmusik 1930 bis 1970

Lale-Andersen-Archiv
Romain Rollands Buch: Musikalische Reise (aufgeschlagen)
Autor: M. Deinert
1. November 2018

Objekt des Monats 11/2018

Ende Oktober oder Anfang November 1944 erreicht den Münchner Komponisten Rudolf Zink ein Päckchen mit einem Buchgeschenk von Lale Andersen aus Berlin, inklusive persönlicher Widmung auf dem Vorsatzblatt: „Rudi Zink mit besten Wünschen zur baldigen Besserung! Lale. X.44“ Mitten in der Endphase des 2. Weltkriegs also sendet es die verfemte ‚Lili Marleen‘ dem Komponisten vieler ihrer ersten lyrischen Vortragslieder…

Was taten beide zu jener Zeit, wie standen sie zueinander? Tournee konnte man die rastlose Tingelei, die Lale Andersen mit wechselnden Orchestern quer durchs bombardierte Deutsche (Dritte) Reich in den Monaten zuvor unternommen hatte, schon gar nicht mehr nennen: Seit der Lockerung ihres Auftrittsverbots im Juni 1943 war sie wöchentlich in durchschnittlich drei unterschiedlichen Städten zu sehen. Sie sang in Aschersleben, Bielefeld, Wiesbaden, Bremen, Halberstadt, Dessau, Magdeburg, Halle, Stendal, Weimar, sang in Lübeck, Flensburg, Baden-Baden, Meerane, Zwickau, Dresden, Leipzig und zahllosen anderen Städten. „Orchester und ich abgespannt, tourneemüde“, vertraute sie ihrem Taschenkalender Mitte August an. Den September und Oktober 1944 verbrachte sie daraufhin in Berlin. Rundfunkaufnahmen waren hier angesetzt, Lazarettauftritte geplant – aber auch private, ruhigere Termine.
Romaine Rollands Buch: Musikalische Reise

Hier in Berlin wird sie die Nachricht von Rudi Zinks Krankenlager erreicht haben. Wir können derzeit nicht rekonstruieren, worum es sich dabei genau handelte, welche persönliche Nachricht oder welcher Brief vorausging. Wir wissen auch nicht, ob sich der Taschenkalender-Kurzeintrag „Buch von Deetje“ am 5. Oktober auf dieses Buch bezieht; doch Lale Andersen sendet dem erkrankten Freund diese literarische Aufmerksamkeit.

Mit Romaine Rollands „Musikalische Reise ins Land der Vergangenheit“ (1921) hat die Sängerin ihrem Münchner „Simpl“-Komponisten der 1930er Jahre nicht nur ein Buch, sondern auch einen Zuspruch zukommen lassen. In sieben Aufsätzen zum Musikschaffen Telemanns, Hasses, Haydns und der Mannheimer Symponiker zeigt Rolland die Neuerungen und Entwicklungen, die zu unserem modernen Begriff von klassischer Musik geführt haben. Er zeichnet Bild und Werk jener verkannten Meister ihrer Zeit nach, die die nachfolgende Größe klassischer Musik erst ermöglicht hatten.

„Es ist eine in der Geschichte nicht seltene Erscheinung, dass es nicht die größten künstlerischen Persönlichkeiten sind, die die Bahnbrecher der Zukunft bilden. (…) Danken wir ihnen für die Früchte, die wir heute pflücken! Fordern wir nicht die Fülle des Herbstes von ihnen, da sie doch ein launenvoller und fruchtverheißender Frühling waren. Es werde jedem sein Los, und das der musikalischen Neuerer in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war schön genug, denn sie haben Mozart und Beethoven die Wege gebahnt.“ (S. 7)Rudi Zink mit besten Wünschen zur baldigen Besserung! Lale

Kein oberflächliches schnelles Geschenk also, sondern eine tiefempfundene kleine Geste erreichte den Münchner aus Berlin mit diesem Buch. Er, der sich inzwischen voller Selbstzweifel vom „Simpl“ und dem Vertonen literarischer Kleinkunst abgewandt hatte, keinen Erfolg mit seinen Tondichtungen erreichte, sich auf den sicheren Beruf des Bankbeamten ganz zurückbesann – und Kriegsdienst leisten musste. Beide Künstlerpersönlichkeiten verband eine lebenslange herzliche Freundschaft. Thema und Anliegen des Buchgeschenkes lassen erkennen, dass die kurze Widmung Lale Andersens auf der Innenseite sich mit ihrem Besserungswunsch eigentlich auf die gesamte Künstlerperson und Lebenssituation Zinks bezieht.

Das Buch ist vor wenigen Jahren aus dem Nachlass des Komponisten von seinem Sohn, Rudi Zink jun., ans Lale-Andersen-Archiv Potsdam gegeben worden. Zusammen mit anderen Objekten (d.h. einigen erhaltenen Briefen, Karten, Konzertprogrammen, einer Zeitungsausschnittsammlung und Schallplatten) bildet dieser Teilnachlass innerhalb der Sammlungsbestände ein eigenes Konvolut.

 

Quellen

Romaine Rolland: Musikalische Reise ins Land der Vergangenheit. Mit 17 Bildnissen. Literarische Anstalt Rütten & Loening: Frankfurt am Main 1921. (Teilnachlass Rudolf Zink sen.: Lale-Andersen-Archiv Potsdam, Inventarnummer VII 45)

Lale Andersen: Eintragungen 1944. Taschenkalender. (Teilnachlass Lale Andersen: Seestadt Bremerhaven, Kulturamt).

Das Deutsche Buch. Monatsschrift für die Neuerscheinungen deutscher Verleger. Hrsg. von der Deutschen Gesellschaft für Auslandsbuchhandel, (2. Jahrgang) Leipzig 1922, S. 130.